Namibia

Unser Freundes- und Bekanntenkreis von weit gereisten Motorradfahrern berichtet von tollen, einsamen Campingplätzen, jeder Menge wilder Tiere, dass es im Supermarkt alles gibt und über allem der Duft von frischem Kaffee und Apfelkuchen schwebt. Kurz gesagt: Fast wie zu Hause, nur mit guten Schotterstrecken und auf dem afrikanischen Kontinent.

Zwei Yamaha XT660 waren von einem Motorradreiseveranstalter in Namibia ausrangiert worden und standen zu Verkauf. Es formierte sich der Plan, dass fünf Reisepaare die zwei XTierchen einander abkaufen und so jeweils eine Reise durch Namibia machen konnten, ohne die eigenen Motorräder aufwändig zu verschiffen.

 

Wir sind als zweite Nutzer unserer Gemeinschaftsmotorräder an der Reihe. Im Februar, also in der Regenzeit, die zugleich auch die heißeste Jahreszeit ist. Wir schnallen unser schmales Gepäck fest und verlassen die Windhuk Mountain Lodge mit dem Ziel, den Marienfluss im äußersten Nordwesten des Landes zu erreichen. Schon in den ersten Tagen erfahren wir die riesigen Weiten des Landes, die Einsamkeit zwischen zwei Orten und was man sich unter einem „Ort“ vorstellen muss, der in der Landkarte 1:4 Mio. groß eingezeichnet ist: Oftmals im Norden sind das eine Tankstelle, Lebensmittelladen, ein paar Häuser. Manchmal ist es auch deutlich weniger.

 

Vom Rhino-Camp aus brechen wir in Richtung Palmwag auf. Eine wenig befahrene Strecke, zwei ältere deutsche Herrschaften mit voll ausgerüstetem Expeditionsfahrzeug raten uns dringend zu einem Satellitentelefon, wenn wir auf diese einsame Route gehen. Mehr Unbehagen bereitet uns ein Warnhinweis auf dem Camp: „Beware of lions and elephants“ steht direkt neben unserem Zelt. Erst mal nerven jedoch abertausende Fliegen, die in Augen, Nase, Ohren und Mund fliegen.

Der Wecker schellt vor dem ersten Licht, bei Tagesanbruch fahren wir los, um die Strecke vonca. 200km an einem Tag zu schaffen. Zunächst etwas kurvig und sandig, dann zunehmend auf Schotter kommen wir gut voran. Ein Rhinozeros in der Ferne interessiert sich nicht weiter für uns. Schon mittags kommen wir im Palmwag-Camp/Lodge an und lassen uns im Pool das erste kalte Bier servieren. Ein Angestellter rät, wir sollten noch ein bisschen länger am Pool bleiben, es sei gerade ein Löwe auf dem Camp-Gelände. Ein Ranger gibt uns Verhaltensregeln für den Fall, dass ein Elefant das Camp besucht. Ok, die Big Five scheinen wirklich zum namibianischen Alltag zu gehören. Als ich abends zu Zelt gehe, streift tatsächlich ein Elefant über das Camp, und zwar kein kleiner blauer und auch nicht Benjamin Blümchen!

 

Von einem einsamen Camp in Purros brechen wir in der Morgendämmerung auf. Horuasib und Khumib-Riverbed stehen auf dem Plan, 65 km in einem zum Glück trockenen, mal sandigen, mal steinigen Flußbett. Eine Giraffe beäugt in aller Ruhe unser Treiben. Wir staunen über die Himba-Nomaden in einer äußerst kargen, fast lebensfeindlichen Umgebung. Vermutlich versorgen sie sich im nahegelegenen Orupembe mit ihrem Grundnahrungsmittel Mais. Orupembe, das sind ein paar weit verstreute Betonhütten, eine Polizeistation und der Orupembe-Shop, dessen Sortiment überwiegend aus alkoholischen Getränken besteht.

 

Red Drum“ ist der nächste auf unserer Landkarte 1:4 Mio. eingezeichnete „Ort“. Und der hält, was er verspricht: Red Drum ist ein rot angemaltes altes Ölfass an einer Pistenkreuzung. Danach wartet eine fahrerische Herausforderung: Der Joubert-Pass besteht aus großen, losen Steinen auf sandigem Untergrund. Der Himmel verfärbt sich in ein bedrohliches Schwarz, Wind und Sandsturm kommen auf. Zum Glück ist das Camp Syncro im Marienflusstal direkt an der angolanischen Grenze bald erreicht.

 

Es hat die ganze Nacht geregnet, aber am Morgen kommt die Sonne raus. Unser Weißbrot reagiert auf die feuchte Hitze mit Schimmelflecken. Zum Frühstück gibt es also leere Teller. Das Camp ist ein Selbstversorgercamp, nur kaltes Bier haben sie im Überfluss. Wir wandern zum Marienfluß-Shop. Dort versorgen wir uns mit Obst und Gemüse aus der Dose. Die Waren samt Verkäuferin sind hinter Gittern, zum Selbstschutz der Shopbesitzerin. Draußen lungern ein halbes Dutzend betrunkener Männer herum, die Haus und Vieh verkaufen, um Alkohol zu finanzieren.

 

Der Regen hat wieder eingesetzt und lässt den Wasserpegel des Kunene River bedrohlich in Richtung unseres Zeltes steigen. Die jungen Schweizer vom Camp raten uns, früh am nächsten Morgen aufzubrechen und zu versuchen Opuwo zu erreichen, denn noch mehr Regen sei angekündigt und der Marienfluss möglicherweise nicht mehr passierbar.

 

Wir stehen also um sieben Uhr am nächsten Morgen am Marienfluss. Ich mag Furten nicht, schon gar nicht früh morgens. Dem Joubert-Pass, den wir wieder überqueren müssen, haben die Regenfälle zugesetzt, über eine Stunde brauchen wir für die eigentlich lächerliche Auffahrt. Wir glauben, damit die größte Schwierigkeit überwunden zu haben und teilen uns unsere letzten drei Kekse. In einem kleinen Dorf ergattern wir neue Kekse und Sprit vom Fass. Von frischem Kaffee und Apfelkuchen keine Spur.

 

Es folgt eine weitere Flussquerung, schon recht tief und mit Strömung. Wir tragen das Gepäck zum anderen Ufer und schieben die Motorräder zu zweit hindurch. Mein XTierchen schluckt dabei etwas Wasser und qualmt ein bisschen. Sorry. Auch der weitere Streckenverlauf bleibt schwierig; wir weichen auf eine Umfahrung aus, um zwei Flussquerungen zu sparen und hoppeln über kindskopfgroße Steine. Es fängt wieder an zu regnen. Wir stehen ein weiteres Mal vor dem Horuasib, der zu einem reißenden Fluss geworden ist. Endstation für heute. Es regnet in Strömen, mit sinkendem Pegel brauchen wir erst einmal nicht rechnen. Das kann jetzt dauern, also Spagetti kochen, essen, dann Zelt aufbauen. Die patschnassen Motorradsachen lassen wir an den Motorrädern hängen, das halbwegs trockene Innenzelt ist unsere Zuflucht. Immerhin herrscht kein Mangel an Trinkwasser, man muss den Regen nur auffangen.

 

Es ist noch dunkel am folgenden Morgen, als wir von gegenüber Motorengeräusche hören. Der Fluss ist passierbar. Wir schälen uns in die tropfnassen Klamotten, packen in Windeseile alles zusammen, um schnellstmöglich den Fluss zu queren. Die Motorradkleidung trocknet im Fahrtwind, alles andere wird in Opuwo im Hotelgarten aufgehängt. Abenteuer bestanden. Die Motorräder bekommen den dringend benötigten Service. Jetzt ist Zeit für Kaffee und Apfelkuchen.

 

Von nun an sind wir im touristischen Namibia unterwegs: Tiere gucken, in Pools baden, lecker Essen gehen, Köcherbaumwald, Rudelbesteigung der Düne 13 im Sossusvlei, Besichtigung der ehemaligen Diamantenbergbaustadt Kolmannskuppe gemeinsam mit einer geführten Wohnmobilgruppe aus Deutschland. Abends im Zelt hören wir Tommy Jauchs „Hummeldumm“ und lachen uns schlapp über Bahe und seine Reisegruppe, denn genauso erleben wir es jeden Tag an allen touristischen Hotspots im Lande.

 

Im Canyon Road House treffen wir die Wohnmobil-Reisegruppe wieder. Da sie das gesamte Camp mit ihren weißen rollenden Einfamilienhäusern belegen, bleibt für unser Zelt nur ein schattenloser Platz neben dem Toilettenhäuschen. Egal, die rostigen Automobile vor der Tür und das urige Ambiente im Road House sind eine Übernachtung wert.

 

Helmeringhausen. Angeblich gibt es dort den besten Apfelkuchen Namibias (diesen Superlativ nehmen alle für sich in Anspruch). Außerdem ist dort eine große Kreuzung, eine Tankstelle, ein Hotel, ein Laden. Da muss doch das wilde Leben toben. Wir kommen kurz vor 16 Uhr an und ergattern gerade noch ein Stückchen Kuchen, bevor das Hotel Feierabend macht. Wir campieren im Hotelgarten und ringen mit einem aufdringlichen Springbok. Schnell noch rüber zum Laden Bier kaufen, bevor der um 17 Uhr zusperrt. Von wegen wildes Leben hier! Das erste Auto, das wir sehen, rollt abends um acht auf die Kreuzung. In Namibia hat man echt Ruhe, wenn man sich zur richtigen Uhrzeit von den Touristenhochburgen fernhält.

Als Highlight kurz vor Ende unserer Reise gönnen wir uns eine Ballonfahrt über die Namibwüste. Beeindruckend, berührend, großartig! Da fehlen einem die Worte. Auch angesichts eines dekadenten Frühstücksbuffets, das uns nach sicherer Ballonlandung mitten im Nichts der Namib serviert wird.

 

In der Windhuk Mountain Lodge übergeben wir die Motorräder an die nächsten Nutzer. Die XTierchen haben alles klaglos mitgemacht und waren treue Begleiter.

Übrigens: den wirklich besten Apfelkuchen gibt es meiner Meinung nach in Solitaire.