KUBA 2020- von Amischlitten bis Zigarren

 

Kuba, ein Land, von dem man hört, dass dort alles anders ist als in der „kapitalistischen Welt“, in der wir leben. Klingt spannend. Außerdem haben wir im Internet zahlreiche Berichte gelesen, wie schön es sei, dort mit dem Fahrrad zu reisen. Im www forsche ich nach einer „casa particular“ in Havanna, einer privat geführten Unterkunft, die es überall im Land geben soll. Gar nicht so einfach, im Januar ist Hochsaison, jede Casa hat nur wenige Zimmer, die entsprechend schnell ausgebucht sind. In der Casa 1832 von Luis bin ich schließlich erfolgreich.

 

Bis wir am Flughafen in Havanna unser gesamtes Gepäck eingesammelt und ein Großraumtaxi in die Stadt organisiert haben, ist es bereits dunkel. Wir nennen dem Taxifahrer die Adresse, und er bringt uns in das Stadtviertel, das der Reiseführer als „spektakulär heruntergekommen“ beschreibt. Ich denke, in Deutschland würde das Bauamt das gesamte Quartier einzäunen und Schilder aufstellen: „Achtung, LEBENSGEFAHR! Betreten verboten!“. Hier wohnen überall Menschen in diesen abbruchreifen Häusern. Ein einziges Haus in der Straße ist allerdings in sehr gutem Zustand: Unser Hotel. Auch drinnen ist alles tiptop, Antiquitäten, Art deco in allen Ecken, wirklich schick, wenn auch havannatypisch sehr eng.

 

Was uns in Havanna neben dem Zustand der Häuser sofort auffällt, sind die alten Amischlitten, die in allen Stadien des Erhalts und des Verfalls die Straßen besiedeln und beim Beschleunigen beeindruckende Rußwolken ausstoßen. Alles geht hier sehr entspannt und gesittet vonstatten, wenig Verkehr (private PKW gibt es kaum), geduldiges Schlange stehen vor Geschäften. Also, vor den wenigen Geschäften, in denen es etwas zu kaufen gibt. Meistens herrscht gähnende Leere in den Regalen, nur Rum gibt es immer und überall zu kaufen.

 

Auch wenn uns die Abgasschwaden der Buicks und Oldsmobiles etwas benebeln, finden wir doch gut heraus aus der Hauptstadt und radeln bald gemütlich auf der Autobahn nach Westen. Auf der Autobahn mit dem Fahrrad?!? Jaaa, das ist ganz normal, alle Verkehrsteilnehmer teilen sich die Autopista, und so kommt es, dass selbst wir zu Überholmanövern ansetzen. Die Eselskarren  und Reiter sind ja noch langsamer...

 

Der Weg von Las Terrazas nach Vinales wird eine der sportlicheren Etappen dieser Reise. Vom Landesinneren zur Nordküste ackern wir immer wieder steile Anstiege hoch, um uns in die nächste Abfahrt zu stürzen. An der Küste wird es weniger steil, aber der Weg ist einfach weit. Wir haben in unserer letzten Unterkunft nämlich schon die nächste Casa Particular klar gemacht, und so sind wir gehalten, das Tagesziel auch zu erreichen. 120 km mit einem beladenen Reiseesel sind schon eine Hausnummer. Vinales ist ein, wenn nicht DER Hotspot für Touristen aus aller Welt in Kuba. Die saftig-grüne Ebene, aus der bizarre Mogotes (Bergkegel) herausragen, sind aber auch sehenswert. Hier wird der feinste Tabak für die kubanischen Zigarren angebaut. Wir lassen uns die Zigarrenherstellung zeigen, aber rauchen will ich das Kraut trotz allem nicht, auch wenn es noch so sehr zu Kuba gehört. Dafür gönnen wir uns gerne abends einen Cuba Libre oder einen Mojito.

 

Mit dem Bus „überspringen“ wir ein Stück, steigen in Trinidad aus und setzten dort unseren Weg nach Osten fort. Das soll sich bald als schlechte Idee herausstellen, denn heftiger Gegenwind bleibt uns tagelang treu und wir strampeln mit viel Kraft, aber mäßigem Erfolg an endlosen Zuckerrohrfeldern durch das Land. Dabei sind wir nicht immer alleine: Eine kubanische Rennrad-Trainingsgruppe läuft auf uns auf und begleitet uns 25 Kilometer lang. Da ist Zeit für ein Schwätzchen und man ist abgelenkt von der Ackerei gegen den Wind.

 

 

Als wir nachmittags in der Kleinstadt Florida ankommen, lassen wir uns an einer Imbissbude eine leckere Pizza für einen einheimischen Peso, ca. 25 Cent, backen. Wenn man dorthin geht, wo die Kubaner sich versorgen, dann kostet alles einen Spottpreis, aber normalerweise ist man als Tourist ja auf den „Peso convertible“ angewiesen, und dann zahlt man Preise wie in Westeuropa. In dem Örtlichen Florida organisieren wir uns ein Taxi für die Strecke nach Camagüey. Der Fahrer des gelben Chevrolet, Baujahr 1956 oder so, muss allein schon deshalb den Ellbogen aus dem Fenster halten, damit die Fahrertür nicht während der Fahrt auffliegt.

 

Wie ist es eigentlich, nicht organisiert durch ein Reisebüro, sondern auf eigene Faust in Kuba unterwegs zu sein? Bei den Übernachtungen ist es im Prinzip einfach: Man fragt in seiner aktuellen Unterkunft, ob die Besitzer einen Tipp haben für den Ort, den man als nächstes ansteuern will, und diese organisieren dann fast immer was. Man lässt sich also wie einen Wanderpokal von Casa zu Casa weiterreichen, das klappt erstaunlich gut und wir sind erstaunt, welch opulentes Frühstück die Casas teilweise auffahren.

Mit dem Essen ist es ansonsten nicht immer ganz so einfach. Märkte haben wir außerhalb Havannas nicht wahrgenommen, Straßenstände gibt es allenfalls an Hauptverbindungsstraßen, die Supermärkte sind überwiegend leer. Selbstversorgen ist extrem schwierig, es bleibt nur der Gang ins Restaurant, wo Auswahl und Qualität der Speisen sehr stark davon abhängen, was der Koch gerade so „organisieren“ kann. Oft gibt es nur Reis (weiß, gelb oder braun) mit Schweinefleisch oder Huhn, Soße ist dabei ebenso unbekannt wie Gewürze. Wir hadern so manches Mal mit den Tücken des Sozialismus – gepaart mit jahrzehntelangem Wirtschaftsembargo – und wundern uns, mit welch stoischer Ruhe und Heiterkeit die Einheimischen diese Verhältnisse ertragen. Es ist für uns eine Art von Armut, die so ganz anders ist als beispielsweise in Afrika.

 

Von Santiago de Cuba führt eine sehr einsame Straße zum westlichsten Zipfel der Provinz Granma. Diese Straße ist ganz offenbar ein MUSS für Reiseradler, denn hier treffen wir mehrmals am Tag auf Gleichgesinnte. Wunderschön, teils spektakulär schlängelt sich die Küstenstraße – oder das, was davon übrig ist – am karibischen Meer entlang. Mittlerweile sind wir so ausgehungert nach vernünftigem Essen, dass wir uns einen Tag in das Touristenresort Brisas de Mar einbuchen. Fassungslos beobachten wir die überwiegend übergewichtigen kanadischen All-Inclusive-Touristen, wie sie über das Frühstücks- und Mittagsbuffet herfallen. In den Touristenbunkern gibt es nämlich alles, was Gaumen und Magen begehren, während für das normale Volk draußen der Reis rationiert ist.

 

 

Von Marea de Portillo führt eine Abkürzung auf relativ direktem Weg durch die Sierra Maestra nach Bartolomé Masó. Abkürzungen sind unsere Spezialität, und so machen wir uns früh morgens auf. Das fahrbare Vergnügen nimmt schnell ein Ende, denn der Asfalt weicht einer Schotterpiste, die teilweise so steil ist, dass ich es nicht mehr schaffe, mein Rad alleine zu schieben! Bergrunter kommen uns die Mountainbikeskills sehr zugute. Für die knapp 60 Kilometer Tagesetappe sind wir fast acht Stunden unterwegs, überwinden zahllose Bergrücken, queren Bachbetten, kurbeln durch knöcheltiefe Pfützen, denn es schüttet über Stunden. Abends feiern wir unseren erfolgreichen Tag mit sehr steif gemixten Mojitos.

 

Unser letztes Ziel ist die Commandancia de la Plata, das Rebellenquartier Fidel Castros in der Sierra Maestra. Um dorthin zu kommen, muss man erst einmal die Straße nach Villa Santo Domingo bezwingen, was die Beinmuskeln und die Bremsbeläge gleichermaßen fordert. Dort bucht man die Dschungeltour und wird mit dem 4x4 zum Startpunkt der Wanderung gefahren, über eine Betonplattenstraße mit 47 Prozent Steigung! Dann tauchen wir zu Fuß in den Dschungel der Sierra ein und lassen uns zur Casa Fidel führen. Geschichte ist in Kuba irgendwie immer zum Greifen nah und spannend.

 

Ein Nachtbus bringt uns schließlich zurück nach Havanna, wo wir am letzten Tag natürlich noch die obligatorische Touristentour mit einem Pink Cadillac machen und die Geschichten der italo-amerikanischen Mafia der 1930er bis 50er Jahre sich zum Greifen real anfühlen.

 

Am Düsseldorfer Flughafen angekommen, lesen wir auf dem Bildschirm über dem Gepäckband zum ersten Mal etwas vom „neuartigen Coronavirus“... und heute bin ich froh um all die Jahre, die wir recht unbeschwert reisen und uns die Welt anschauen konnten. Wer weiß, wann das wieder möglich sein wird.

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